Die EU-Chemikalienstrategie

Die EU-Chemikalienstrategie

(Oktober 2020) – Ziele erreichbar?

Bereits mit ihrem 7. Umweltaktionsprogramm hatte sich die Europäische Kommission zwei besonders wichtige Ziele gesetzt, die parallel bis 2020 erreicht werden sollten. Ein prioritäres Ziel ist, die EU-Bürger vor umweltbedingten Belastungen und vor Risiken für Gesundheit und Wohlbefinden zu schützen, u.a. durch eine Reduktion von gefährlichen Stoffen in der Umwelt. Explizit genannt werden u.a. gefährliche Chemikalien in Produkten. Die Kommission hat zudem nun die neue Chemikalienstrategie veröffentlicht. Ein wichtiges Ziel ist „the minimisation of exposure to chemicals in products, including, inter alia, imported products, with a view to promoting non-toxic material cycles and reducing indoor exposure to harmful substances.” Der Hinweis auf „non-toxic material cycles” verweist auf das zweite wichtige Ziel der Kommission, dem man mit der neuen Abfallrahmenrichtlinie näher kommen will, u.a. durch deutlich höhere „Recyclingquoten”, allerdings mit schadstofffreien Materialkreisläufen. Im 7. UAP wurde betont, dass ein Restabfallaufkommen „close to zero” angestrebt werden müsse. Im „European Green Deal” (COM (2019) 640 final) werden beide Ziele erneut unterstrichen.
In der aktuell vorgelegten EU-Chemikalienstrategie sind konkrete Vorgaben für „Toxic-Free Environment“ erlassen. “In einer sauberen Kreislaufwirtschaft ist es unerlässlich, die Produktion und Aufnahme von Sekundärrohstoffen anzukurbeln und sicherzustellen, dass sowohl primäre als auch sekundäre Materialien und Produkte stets sicher sind. Die Schaffung eines gut funktionierenden Marktes für Sekundärrohstoffe und der Übergang zu sichereren Materialien und Produkten wird jedoch durch eine Reihe von Problemen gebremst, insbesondere durch den Mangel an angemessenen Informationen über den chemischen Gehalt der Produkte”.
Bezogen auf die neue Strategie will die Kommission

  • das Vorhandensein besorgniserregender Stoffe in Produkten durch die Einführung von Anforderungen zu minimieren, wobei jenen Produktkategorien Vorrang eingeräumt wird, die gefährdete Bevölkerungsgruppen sowie diejenigen mit dem höchsten Potenzial für Kreislaufwirtschaft betreffen: Textilien, Verpackungen einschließlich Lebensmittelverpackungen, Möbel, Elektronik und Informations- und Kommunikationstechnik, Bauwesen und Gebäude;
  • Gewährleistung der Verfügbarkeit von Informationen über den chemischen Inhalt und die sichere Verwendung durch Einführung von Informationsanforderungen im Rahmen der Initiative für eine nachhaltige Produktpolitik und Verfolgung des Vorhandenseins bedenklicher Stoffe über den gesamten Lebenszyklus von Materialien und Produkten;
  • sicherstellen, dass Zulassungen und Ausnahmen von Beschränkungen für recycelte Materialien gemäß REACH ausnahmsweise gerechtfertigt sind;
  • Investitionen in nachhaltige Innovationen unterstützen, die Abfallströme dekontaminieren, das sichere Recycling erhöhen und den Export von Abfällen, insbesondere von Kunststoffen und Textilien, reduzieren können;
  • Methoden zur Bewertung chemischer Risiken entwickeln, die den gesamten Lebenszyklus von Stoffen, Materialien und Produkten berücksichtigen“.

Seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung in 2007 wurden immer wieder neue Beschränkungen von Stoffen erlassen, die in die gleiche Richtung gehen: Ausschleusung von als gefährlich eingestuften Stoffen aus dem Wirtschaftskreislauf. Jedoch existieren für die jeweiligen Anwendungsgebiete meistens auch umfangreiche Ausnahmen für einige Anwendungen, was zeigt, wie schwierig das Ziel „Non-Toxic-Environment“ tatsächlich ist. Beispielsweise wurde Blei (und seine Verbindungen) durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den zehn gesundheitsschädlichsten Substanzen eingestuft. Beschränkungen in der EU gibt es derzeit bspw. für die Verwendung in Farben, in diversen Legierungen, in Verpackungen, in Batterien, in Fahrzeugen, in Spielzeug und in Elektro- und Elektronikgeräten (keine abschließende Liste). Dennoch werden bis zu 700 Millionen Schrotpatronen jährlich (nach Angaben der Europäischen Chemikalienagentur ECHA) zur Jagd abgefeuert und hinterlassen Rückstände des hochgiftigen Stoffes, so dass Ökosysteme in ihrer Bleikonzentration mehr einer Sondermülldeponie gleichen. Tiere verenden qualvoll, indem sie die Rückstände über Gewässer und Feuchtwiesen aufnehmen. Auch für die menschliche Gesundheit sind die Bleireste, beispielsweise durch kontaminiertes Wasser schädigend. Gemäß der REACH Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 vom 1. Juni 2007 gilt das Element und andere bleihaltige Verbindung als Gefahrstoff. Nach Einschätzung der ECHA wäre ein absolutes Verbot zur Verwendung von Blei in Munition – in diesem Kontext auch im Hinblick auf die Nutzung des Schwermetalls im nicht-zivilen oder militärischen Gebrauch – zu empfehlen, ist derzeit aber noch nicht in die geforderten Richtlinien einbezogen. Immerhin hat man sich auf folgendes nun im September geeinigt: Die Jagd mit bleihaltiger Munition soll in Feuchtgebieten künftig verboten werden. Wie bei solchen Entscheidungen üblich, gilt eine Übergangsfrist (zwei Jahre).

Unterschiedliche Behörden aller Mitgliedsstaaten haben die Möglichkeit, Vorschläge für weitere Beschränkungen einzureichen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, Dortmund) bereitet derzeit gemeinsam mit den Behörden der Niederlande, Dänemarks, Schwedens und Norwegens eine Analyse der Beschränkungsmöglichkeiten für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung aller PFAS (perfluorierte Alkylverbindungen) in der EU im Rahmen von REACH vor (Anhang XV-Dossier). PFAS haben keine natürliche Quelle. Sie werden industriell hergestellt und in einer Vielzahl von Produkten verwendet. Viele PFAS reichern sich in der Umwelt sowie im menschlichen und tierischen Gewebe an. Einige PFAS stehen im Verdacht krebserregend zu sein. Die jährlichen gesundheitsbezogenen Gesamtkosten im Zusammenhang mit der Exposition des Menschen gegenüber PFASs beliefen sich in den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums auf mindestens 52 bis 84 Milliarden Euro.

Anfang 2020 wurde eine Ergänzung der CLP-Verordnung ((EG)1272/2008) im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Diese betrifft u.a. die Einstufung von Titandioxid. Die „Delegierte Verordnung“ – und damit die Einstufung von Titandioxid in Pulverform, Carc. 2 (H351; Einatmen) – trat damit am 09. März 2020 in Kraft. Erläuternd zur Einstufung und den damit verbundenen Pflichten enthält die Verordnung folgende besonders relevante Hinweise: Die Einstufung als „karzinogen bei Einatmen“ gilt nur für Gemische in Form von Puder mit einem Gehalt von mindestens 1 % Titandioxid in Partikelform oder eingebunden in Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von ≤ 10 μm.

Bei Rückfragen zu aktuellen Stoffbeschränkungen können Sie uns jederzeit ansprechen und Texte kommentieren.

https://www.sueddeutsche.de/wissen/bleiverbot-jagd-eu-kloeckner-1.4967276
https://echa.europa.eu/documents/10162/13641/lead_ammunition_investigation_report_en.pdf/efdc0ae4-c7be-ee71-48a3-bb8abe20374a

No Comments

Post A Comment