04 Feb „Tanzen statt Böllern“
Jährlich werden in Deutschland für über 100 Millionen Euro Feuerwerkskörper in die Luft gejagt, Folgekosten für Schäden an Mensch und Umwelt und Kosten für die Beseitigung der hunderten Tonnen Abfall nicht eingerechnet. Außerdem verursacht das Silvesterfeuerwerk über 4.000 Tonnen Feinstaub in einer Nacht– in etwa so viel, wie alle Autos und LKW in Deutschland in zwei Monaten freisetzen. Hinzu kommen unmittelbare gesundheitliche Schäden durch eine unsachgemäße Verwendung von Feuerwerkskörpern mit entsprechenden Folgekosten: Tausende Menschen, erleiden durch Knalltraumata eine Schädigung des Innenohrs, häufig mit bleibenden Folgen, viele verlieren Gliedmaßen, immer wieder gibt es sogar Tote. Und dies alles für eine Stunde Knallerei und schöne Lichtspektakel am Himmel.
Würde man mit Vernunft argumentieren, müsste die private Böllerei verboten werden. Doch warum geschieht das nicht, obwohl sich laut einer Umfrage bereits über die Hälfte der Bevölkerung dafür ausgesprochen hat, das private Abschießen von Silvesterknallern zu verbieten und stattdessen offizielle Feuerwerke in großen Städten zu veranstalten?
Laut der ersten Sprengstoffverordnung können Böller „in der Nähe von Gebäuden oder Anlagen, die besonders brandempfindlich sind“ sowie Böller „mit ausschließlicher Knallwirkung“ in dichtbesiedelten Gebieten verboten werden. Einige Gemeinden haben bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht: auf den Nordseeinseln Sylt und Amrum etwa herrscht im Hinblick auf die erhöhte Brandgefahr wegen der vielen reetgedeckten Häuser ein komplettes Böllerverbot und in bestimmten Teilen der Innenstädte von Köln, Hamburg, München und Berlin ist das Abschießen von Feuerwerkskörpern ebenfalls verboten.
Doch Verbote, die über das Gesetz hinausgehen, sind bislang nicht umsetzbar. Bereits 2017 wurde beispielsweise ein Antrag der Grünen/Rosa Liste des Bezirksausschusses Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt abgelehnt, in dem ein Verbot von Feuerwerksraketen direkt an der Isar und in zwei Parallelstraßen gefordert wurde. Die Begründung: Es gäbe keine rechtliche Möglichkeit, „aus sicherheitsrechtlichen Gründen“ ein Feuerwerksverbot zu erlassen. Ebenso in München, wo der Stadtrat erreichen wollte, ein solches Verbot auf die gesamte Innenstadt auszuweiten. Doch aufgrund der Formulierung des Sprengstoffgesetzes konnte die Verwaltung dem nicht zustimmen.
Ende letzten Jahres kündigte Innenminister Horst Seehofer zwar an, dass das Sprengstoffrecht überarbeitet werden sollte – jedoch erst zur nächsten Legislaturperiode Ende 2021. Erst dann soll ein Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht und geprüft werden, ob die bisherigen Regelungen an die veränderten Rahmenbedingungen und eine veränderte Akzeptanz in der Bevölkerung anzupassen sind.
Obwohl eine Einschränkung der Feuerwerke in anderen Ländern bereits gang und gäbe ist und obwohl angesichts der massiven Schäden für Mensch und Umwelt und entsprechender Folgekosten seit Jahren gefordert wird, das Gesetz zu ändern, wird die politische Entscheidung aufgeschoben. Möglicherweise will man es sich in Berlin nicht verscherzen: nicht mit manchen Wählergruppen, die „Freies Böllern für freie Bürger“ fordern und auch nicht mit Teilen der Wirtschaft, die an Herstellung und Verkauf von Feuerwerkskörpern gut verdienen.
Damit an Silvester nicht mehr jeder Haushalt sein eigenes privates Feuerwerk veranstaltet – mit allen negativen Folgen – bedarf es nicht nur schneller und durchgreifender politischer Entscheidungen; es geht in dieser Frage auch um einen gesellschaftlichen Wandel. Wir brauchen mehr Alternativen zum privaten Feuerwerk, wir brauchen neue Rituale. So sollte es, wenn überhaupt, ausschließlich zentral organisierte Feuerwerke oder besser Lichtershows geben. Wir können uns auch von anderen, im Land bereits bestehenden Ritualen inspirieren lassen, etwa vom sogenannten „Hulken“ auf Amrum, bei dem die Inselbewohner am Silvesterabend verkleidet von Haus zu Haus ziehen. Wird man von den Hausbewohnern erkannt, wird man mit einer Kleinigkeit verköstigt. Oder wir führen ganz neue Rituale ein. Etwa indem wir, wie die Einwohner auf den Philippinen, um Mitternacht hüpfen, um unser Wachstum anzuregen oder indem wir um null Uhr alles stehen und liegen lassen und, wie in Österreich, Walzer tanzen – egal wo wir gerade sind. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Klar ist: Es geht auch anders!
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